Heiko-thandeka ncube

HEIKO IST TOT. ER HAT SICH DAS LEBEN GENOMMEN. DIE HINTERGRÜNDE UND DAS UNWIDERRUFLICHE DIESES AKTES LASSEN SICH NICHT FASSEN.

Wir, das Team der Kontakt- und Beratungsstelle des KLIK e.V., sind verbunden in Trauer und in unserem Bedauern, ihn nicht haben halten zu können; aber auch in Dankbarkeit für seine Impulse. Und in unseren Erinnerungen an ihn.

Das erste Mal traf ich Heiko-Thandeka Ncube im Herbst 2019. Die Künstlerin Alexia Manzano stellte ihn mir als Vereinsmitglied von The Hub Berlin e.V. und als neuen Kollegen im gemeinsam mit uns durchgeführten Projekt „Goldmarie“ vor. Da ich zuvor schon einiges über Heiko gehört hatte – meine Kolleginnen berichten in der wöchentlich stattfindenden Teamsitzungen immer über aktuelle Projekte, so auch über das Kunstprojekt „Goldmarie“. Ein quirliger Typ sei Heiko, extrovertiert, gut im Kontakt mit den jungen Besucherinnen, aber durchaus auch schnell ungeduldig, wenn seine künstlerischen Ideen bei diesen vermeintlich auf taube Ohren stießen – erinnere ich mich noch gut an den Moment der Überraschung, als mein erster eigener Eindruck deutlich von der Vorstellung abwich, die ich mir aus dem über ihn Gehörten gemacht hatte.

Am Küchentresen stehend tranken wir einen Kaffee miteinander. Heiko lächelte schelmisch, betrachtete mich neugierig und stellte Fragen zu meiner Rolle im KLIK. Ich mochte diesen trotz der präsentierten Lockerheit auf mich irgendwie schüchtern, sanft und sehr jugendlich wirkenden Menschen unmittelbar und freute mich auf unseren zukünftigen Kontakt.

Auch Marcel kann sich noch gut an seine erste Begegnung mit Heiko erinnern: „Es war an einem Donnerstag Ende Januar 2020 im Kontaktladen, als ich das erste Mal bei Klik war, um die Arbeit dort kennenzulernen. Ich hatte gerade meine alte Stelle gekündigt und sollte nun im Kontaktladen hospitieren. An diesem Tag war der Kontaktladen relativ leer, es war zuerst nur ein Besucher da und ich war sehr nervös. Mir gingen Fragen durch den Kopf wie “Was erwartet mich”, “Werden sie mich mögen”, “Wird man mich hier akzeptieren”. Als Heiko eintraf, hat er mich sofort begrüßt, war sichtlich neugierig darauf, wer ich denn sei. Er erzählte mir, wie es normalerweise ablaufe und was für ein Zufall es sei, dass ich ausgerechnet an einem solchen Tag zu Besuch bin. Dabei steckte mich seine emphatische, lebendige Art so an, dass sich meine Bedenken und Unsicherheiten im Lauf des Gesprächs zerstreuten und ich mich ganz auf das Kennenlernen des Kontaktladens einlassen konnte. Das Gefühl, dass ich damals hatte – hier ist ein Mensch, der ganz da ist, der präsent ist – setzte sich dann in den nächsten Jahren fort. Wenn es darum ging, neue Besucher*innen im Kontaktladen zu begrüßen und willkommen zu heißen, wenn Heiko ohne zu zögern schlichtend in Konflikte eingriff, wenn Heiko von Erlebnissen aus seinem Leben berichtete, eigene Unsicherheiten artikulierte und auch aussprach, dass er fürchte, selbst bei uns im KLIK e.V. keine Akzeptanz mehr zu finden.“

Von 2019 bis 2022 kam Heiko wöchentlich in den Kontaktladen, um mit wohnungslosen jungen Menschen künstlerisch zu arbeiten. Schnell wurde er zu einer besonderen Bezugsperson für die jungen Menschen. Das künstlerische und experimentelle Arbeiten in der offenen Gruppe entzündete sich am wechselseitigen Interesse und am Austausch über Sehnsüchte, Träume, Verletzlichkeiten. Zusammen mit seiner Projektpartnerin Alexia Manzano (später mit Sarah Wenzlinger, Birgit Kunz, Niclas Hille) bemühte sich Heiko aber auch darum, den Besucher*innen des Kontaktladens die Begegnung mit Kunstwerken – die in Museen und Galerien meist nur einem bestimmten Publikum zugänglich sind – zu ermöglichen.

Gemeinsame Ausstellungsbesuche, das Betrachten und Nachbesprechen experimenteller Kunstfilme und Aktionen, wie z.B. das Erzeugen von Sounds durch verkabelte Früchte, fesselten nicht nur die wohnungslosen jungen Besucher*innen.

Anett, die bis Mai 2021 oft mit Heiko im Kontaktladen zusammen gearbeitet hat, schreibt, gefragt nach ihren Gedanken zu Heiko: „Immer gut gelaunt, offenherzig und verspielt und doch im Inneren tief traurig – was für ein Klischee und doch so wahr. So würde ich Heiko beschreiben, wenn jemand mich fragte, wer ist dieser junge, hoch aufgeschossene Mann mit den tanzenden Dreadlocks, der da zwischen den Besucher*innen des Kontaktadens sitzt, tief verwickelt in Gespräche und nebenbei mal schnell ein T-Shirt bedruckt. Dein Lachen, deine Begeisterung für Kunst, deine kleinen Werke, die überall im Kontaktladen zu finden sind, deine Größe als Mensch werden bleiben, auch wenn du gegangen bist.“

Heiko konnte nicht nur mitreißend sprechen, sondern er hat Menschen auch sehr genau beobachtet und hat ihnen zugehört. Er wollte und konnte es nicht hinnehmen, dass Menschen ausgegrenzt werden und dass das Leben einiger Menschen weniger zu zählen scheint, als das anderer.

Als Afrodeutscher war er selbst immer wieder in unterschiedlichen Bereichen – an der Universität, im Kunstbetrieb, in pädagogischen Kontexten – mit strukturellem Rassismus und mit der Ignoranz von Diskriminierungserfahrungen konfrontiert. Dass es an öffentlicher Empörung und an gelebter Solidarität mangelt, hat ihn spürbar aufgewühlt und verletzt.

Vielleicht hat ihn auch die Wahrnehmung der eigenen Verletzlichkeit ganz besonders empfänglich für die Verletzungen und die Verletzlichkeit von anderen gemacht, für deren Bedürfnisse und Mangelerfahrungen. Er sorgte sich um andere. So machte er sich etwa um das Wohlergehen einer jungen Frau viele Gedanken, die kein einziges Treffen im Projekt „Goldmarie“ verpasst hat und die auch das manchmal wortlose Zusammensein mit Heiko sichtlich genossen hat. Er überlegte gemeinsam mit uns, wie man sie, die ohne Krankenversicherung und feste Bleibe, ohne gesicherte Einkünfte, ohne Anspruch auf Transferleistungen eine akute psychische Krise durchlief, unterstützen könne. Ob man das tun könne, ohne sie zu bevormunden.

Und ob man das tun dürfe, in Anbetracht der Tatsache, dass diese junge Frau zwar Kontakt mit ihm halte, „ernsthaften“ Gesprächen jedoch auszuweichen scheine, sich ins Nachtleben stürze, exzessive Räusche suche und diese auch zu genießen behauptete. Die die von ihm (und uns) wahrgenommenen inneren Qualen aber nicht mitteilen könne oder wolle.

Im Herbst 2020 wurde Heiko Vereinsmitglied bei KLIK e.V. Er wollte wissen, wie man stabile Finanzierungsgrundlagen für die Arbeit für und mit entrechteten und diskriminierten Menschen schaffen könne. Beim Versuch die dazugehörige Kalkulation und Planung nachzuvollziehen, drohte er regelmäßig einzuschlafen, worüber wir gemeinsam lachen mussten.

Katarina, die seit dem Sommer 2021 für das Kontaktladenangebot verantwortlich ist, erinnert sich: „Heiko war für mich immer ein Phänomen. Seine außergewöhnliche Art, Menschen offen, direkt, mit Ungezwungenheit und Enthusiasmus zu begegnen, die manche Erwachsene längst in ihrer Kindheit gelassen haben, haben mich immer fasziniert. Er kam zum Kontaktladen und sofort war der Raum mit seiner Präsenz gefüllt. Oft, wenn ich während der Öffnungszeit in der Küche stand und gekocht habe, war ich fasziniert von der Lebendigkeit an dem großen Tisch im Raum vor mir, an dem Heiko sich mit den jungen Besucher*innen zusammengesetzt hatte, seine Kunstutensilien auspackte und intensiv mit den Leuten diskutierte. Ich beobachtete und staunte, wie sich die Menschen ihm öffneten und ihre oft nicht einfachen Lebensgeschichten erzählten, oder lange und rege intellektuelle Diskussionen führten. Zu schade, dass ich keine Zeit hatte, zu der Gesellschaft am Tisch dazuzustoßen …

Heiko gestaltete das Kunstangebot als einen offenen Raum und stellte den jungen Menschen sich selbst zur Verfügung, weil er spürte und wusste, wie wichtig es ist, gehört zu werden. Bei Heiko fanden die jungen Menschen nicht nur Gehör, sondern Resonanz.

Ich schaue auch jetzt noch manchmal zu der Tür und erwarte, dass Heiko eintritt und mit seinem fröhlichem „Hey, wie geht’s?“ auf mich und alle anderen zukommt …“

Alexandra Post,
Marcel Nouvertne,
Anett Leach,
Katarina Dubcova,
Krasimira Georgieva,
David Tilcher,
Magdalena Rozycka,
Agnieszka Ghanname,
Ronny Auer,
Maciej Zbikowski,
Pien de Jonge,
Lucja Wolska

Juli 2023

Der Nachruf als PDF

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