Ein Insiderblick: 5 Fragen & 5 Antworten des KLIK-Teams zu den knapp 4 vergangenen Monaten
1. Wie sieht momentan der Arbeitsalltag aus?
Die Kontakt- und Beratungsstelle ist täglich von 10 bis 15 Uhr besetzt. An zwei Tagen in der Woche – montags und donnerstags – halten wir die Einrichtung für die Basisversorgung wohnungsloser Menschen offen.
Dienstags und freitags bieten wir eine offene psychosoziale Beratungssprechstunde an. Außerhalb der Sprechzeiten gibt es je nach Bedarf und zeitlicher Kapazität psychosoziale Beratung mit Termin und Begleitung zu Terminen sowie aufsuchende Beratung.
Als in Folge des coronabedingten Lockdowns die Wohnungslosenversorgung in der Stadt runtergefahren wurde, weil die Einrichtungen eine nach der anderen geschlossen wurden, hatten wir uns entschlossen weiterzumachen und in der schwierigen Zeit für die Leute da zu sein. Von Mitte März bis Ende Mai bestimmten Aktivitäten wie Großeinkäufe, Lunchpakete packen, Bargeld-, Kleidung- und Hygieneartikelausgabe aber auch Dusch- und Schlangenmanagement unseren Arbeitsalltag. Und immer wieder alles desinfizieren.
Die Nachfrage war so groß – an manchen Tagen suchten uns ein paar hundert Hilfesuchende auf -, dass das gute alte Gespräch mit den Klient*innen leider oft dabei auf der Strecke blieb. Dafür wurde das Angebot der Grundversorgung aber umso mehr in Anspruch genommen. Inzwischen sind wir wieder in einem halbwegs normalen Arbeitsmodus und auch unser Arbeitsalltag hat sich wieder weitgehend normalisiert.
2. Gibt es Alternativangebote? Wie seid ihr kreativ/innovativ etc. mit der Situation umgegangen?
Wir haben uns zusammengesetzt, die aktuelle Situation und die für unsere Arbeit damit verbundenen Herausforderungen besprochen und schnell gehandelt. Es war absehbar, dass durch den Lockdown die Not der ohnehin schon unterversorgten wohnungslosen Menschen, insbesondere der auf der Straße Lebenden und der wohnungslosen Unionsbürger*innen, deren Ansprüche auf Existenzsicherung und soziale Hilfen oft strittig sind, noch krasser werden würde.
Es gab weder einen Notfallplan für wohnungslose Menschen noch für die Wohnungslosenhilfe. Die Senatsverwaltung für Soziales konnte zunächst weder Richtlinien noch Schutzmaterialien zur Verfügung stellen. Während die Bundesregierung die Bevölkerung dazu aufrief, sich selbst zu schützen und wenn möglich zuhause zu bleiben, waren die Interessen und Bedarfe wohnungsloser Menschen in den ersten Wochen nicht unbedingt im Fokus von Politik und Verwaltung. Es gab auch keine Signale der Unterstützung für Wohnungslosenhilfestrukturen.
Zugleich war die Situation wohnungsloser Menschen katastrophal. Von einem Tag auf den anderen war das Versorgungsnetzwerk weggefallen, es mangelte an Essensausgaben, Duschmöglichkeiten, Orten zum Wäschewaschen. Auch gab es zunächst keine (Not)Unterkünfte und keine medizinische Versorgung.
Wir haben in dieser Situation beschlossen, nicht ins Homeoffice zu gehen, sondern unser Angebot an die akuten Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen und die Nachbarschaft zu mobilisieren. Wir entwarfen einen Spendenaufruf und begannen, diesen im Freundes- und Bekanntenkreis zu verteilen, beklebten die Türen in der Nachbarschaft.
Die Resonanz war erfreulich: Nicht nur Privatpersonen und Förderstiftungen halfen uns, auch der Verein Berliner Obdachlosenhilfe e.V. ließ uns kurzerhand 10.000 EUR zukommen. Somit konnten wir zeitnah das Projekt „Notgroschen“ umsetzen: Jede wohnungs- und mittellose Person, die zu uns kam, bekam einmal in der Woche 10 EUR Bargeld ausgezahlt.
Zusätzlich haben wir Lebensmittelpäckchen vorbereitet und verteilt, Alltagsmasken besorgt und ausgegeben, Kleidung und Schlafsäcke organisiert. Zwei Vereinsmitglieder – David und Ronny – waren sofort zur Stelle und haben uns ehrenamtlich bei allen Aufgaben unterstützt, die im Zusammenhang mit der Notversorgung angefallen sind und noch anfallen. Andere Freiwillige haben hier für die Klient*innen gekocht.
Eine besondere Herausforderung war es wie gesagt, unter den Bedingungen der Notversorgung die Informations- und Gesprächsbedürfnisse der Leute aufzugreifen. Die Leute hatten und haben neben den neuen auf SARS-CoV-2 bezogenen Fragen ja weiterhin Beratungsbedarf zu den mit ihren belasteten Lebenslagen in Zusammenhang stehenden Themen.
Beratung am Telefon oder per E-Mail hat bislang in unserer Arbeit keine große Rolle gespielt, da diese Form der Kontaktaufnahme recht voraussetzungsvoll ist. Wir sind zwar per Mail, Telefon und Messengerdienste erreichbar, doch Klient*innen nutzen diese Möglichkeiten eher als zusätzliche Möglichkeit in Kontakt zu sein, wenn bereits eine Vertrauensbasis da ist und eine Beratungsbeziehung besteht.
Menschen, die noch nie bei uns waren und die meist einen diffusen Unterstützungsbedarf haben, tragen ihre Anliegen in der Regel nicht sofort strukturiert in Textform vor. Da aber Beratung in offenen und weniger strukturierten Settings auch in „normalen Zeiten“ zu unserem Verständnis von niedrigschwelligem Arbeiten gehört, haben wir die Frage der Face-To-Face-Beratung kreativ gelöst, um den Erfordernissen des Infektionsschutzes aber auch den existenziellen Nöten der Ratsuchenden gerecht zu werden. Ob im Hof, vor der Tür oder bei einem gemeinsamen Spaziergang im Park, immer mit entsprechendem Abstand und Gesichtsschutz, wir versuchten Beratungsgespräche weiterhin möglich zu machen.
Die Frage des Datenschutzes und der Gewährleistung der Vertraulichkeit standen im Raum, andererseits aber auch, wie unter den gegebenen Bedingungen Arbeitsschutz auszusehen hat und gewährleistet bleibt. Wir haben diese Fragen fortlaufend, teilweise recht kontrovers im Team diskutiert. Das wir lösungsorientiert und arbeitsfähig geblieben sind, liegt auch an unserer basisdemokratischen Organisationsstruktur.
3. Was war/ist die größte berufliche Herausforderung? Wie wurde sie bewältigt?
Die Arbeit in der Kontakt- und Beratungsstelle ist konzeptionell durch die „offene Tür“ geprägt. Es gibt verschiedene Vorkehrungen, die dazu beitragen sollen, dass junge wohnungslose Menschen Beratungsleistungen in Anspruch nehmen – was keine Selbstverständlichkeit ist. Zum Beispiel kann man bei uns normalerweise einfach während der Öffnungszeiten vorbeikommen, ohne vorher einen Termin vereinbaren zu müssen.
Während der Öffnungszeiten im Kontaktladen kann man sich in unseren Räumen aufhalten, solange man möchte, duschen, ohne auf die Zeit achten zu müssen, Computer mit Internet nutzen und eigene Musik auflegen, andere junge Obdachlose kennenlernen. Die Räume sind für unsere Adressat*innen so etwas wie ihr Wohnzimmer.
Das war ab Mitte März schlagartig vorbei, was sehr frustrierend für die jungen Menschen war. Mit dem Projekt „Notgroschen“ haben wir nämlich die Fokussierung auf junge Wohnungslose vorerst aufgehoben, da wir uns nicht vorstellen konnten, Menschen aufgrund ihres Alters wegzuschicken, ohne ihnen Alternativen aufzeigen zu können.
Der Bedarf war sehr, sehr groß. Auch wenn wir die Bargeldausgabe nicht extra „beworben“ hatten, kamen Tag für Tag mehr Leute, um Geld und Essen zu erhalten, aber auch, weil sie duschen wollten und ihre Kleidung waschen oder wechseln mussten.
Schließlich war an einem Montag mit 364 Personen innerhalb von 5 Stunden unser absolutes Limit erreicht. Das „Schlangenmanagement“ konnten wir mit unseren Möglichkeiten nicht mehr gewährleisten. Es kam zu Konflikten mit Anwohner*innen, Gewerbetreibenden und der privaten Berlin Metropolitan School.
Hier konnten wir uns auf den Verein Berliner Obdachlosenhilfe e.V. verlassen, mit dem wir auch vor Corona schon lange sehr gut zusammengearbeitet haben. Nach unserem Hilferuf hat der Verein sofort einen Ehrenamtlichen mobilisiert, der uns kompetent und souverän unterstützt hat, sodass die angespannte Lage deeskaliert werden konnte. Eine weitere bei der Berliner Obdachlosenhilfe engagierte Person hilft uns seit Wochen bei der Zubereitung des Essens, beim Aufräumen, Putzen und Desinfizieren.
Mit Blick auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis haben wir uns dennoch entschieden, die Bargeldausgabe eine Woche früher als geplant zu beenden. Vom restlichen Spendengeld haben wir Gutscheine gekauft, die je nach Bedarf für Hygienematerialien, Schutzmasken, Lebensmittel aber auch Schuhe und Schlafsäcke eingelöst werden können.
4. Wie schätzt ihr die aktuelle Lage eurer Klientel ein?
Vielen unserer Klient*innen erging es genau wie anderen Leuten, die zuvor prekär im Niedriglohnsektor beschäftigt waren. Sehr viele haben ihren Job verloren und eine erneute Arbeitssuche war nicht möglich. Viele mussten in Kurzarbeit.
Nicht wenige Menschen, die zu uns in die Notversorgung kamen, waren sehr besorgt. Viele waren durch den Lockdown sehr verunsichert, sogar verzweifelt bis depressiv. Sie wollten aktuelle Informationen zur Corona-Pandemie und über vorhandene Unterstützungsangebote bekommen.
Die menschenleeren Straßen im Lockdown haben dazu geführt, dass viele Menschen ihre einzige Einkommensquelle verloren haben, sowie Straßenkünstler*innen und Menschen, die sich mit Flaschensammeln oder Betteln über Wasser halten. Besonders hart waren aber auch Menschen betroffen, die undokumentiert tätig waren und plötzlich ohne Arbeit und ohne Unterkunft da standen, weil der Arbeitgeber sie auch untergebracht hatte. Sie waren plötzlich obdach- und mittellos und hatten gar keine Ansprüche auf Sozialleistungen. Denn ohne nachweisen zu können, dass nach dem Freizügigkeitsgesetz ein Arbeitnehmerstatus erworben wurde, hat man keine Chance.
Dadurch, dass die Behörden ihre Sprechstunden eingestellt haben und die Erreichbarkeit zeitweise katastrophal war, konnten viele Menschen ihre Ansprüche gar nicht einlösen. Erst nach einer Weile im Lockdown, nachdem das Sozialschutz-Paket verabschiedet wurde, wurde das Verfahren der Leistungsbewilligung im Jobcenter erheblich erleichtert. Zudem wurde die Unterbringung in ASOG-Heimen nach §17 ASOG viel großzügiger von den Sozialämtern bewilligt als normalerweise. Das war auf jeden Fall eine Verbesserung.
Es gab ja auch dieses Gerichtsurteil des Düsseldorfer Sozialgerichts Anfang April, das entschieden hatte, dass ein obdach- und mittelloser EU-Bürger aufgrund der Corona-Krise, bzw. der coronabedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der damit verbundenen Schwierigkeit Geld zu „erbetteln“, vorläufig auch ohne Anspruch SGB II-Leistungen bekommt. Das war grandios. Leider führte das in der Praxis nicht unmittelbar dazu, dass die Klient*innen in ähnlich gelagerten Fällen alle Hartz 4 beantragen und ihre Notlage beenden konnten.
5. Was möchtet ihr euren Kooperationspartner/innen oder Klienten/Klientinnen zu eurer derzeitigen Zusammenarbeit sagen?
In der turbulenten und arbeitsintensiven Zeit hatten wir, glaube ich, oft im Team das Gefühl, dass wir einander dankbar waren. Dafür, dass wir zusammenstanden und diese Anstrengungen zusammen gemeistert haben. Dass wir trotzt der Einschränkungen sehr viel Kreativität, Eigeninitiative und Engagement aufgebracht haben.
Ein riesengroßer Dank geht an die Berliner Obdachlosenhilfe e.V., ohne dessen ehrenamtliche Mithelfende wir so manches Mal aufgeschmissen gewesen wären. Eine großartige tatkräftige Unterstützung! Auch unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen haben mit uns die Ärmel hochgekrempelt und mit angepackt. Das war wirklich toll.
Auch dem Berliner Tafel e.V. sind wir sehr dankbar für die extragroßen Lieferungen, mit denen sie uns versorgt haben.
Nicht zuletzt einen großen Dank an unsere Nachbar*innen für ihr Verständnis und ihre Geduld. Und wir bedanken uns auch bei unseren Klient*innen, die trotzt langer Wartezeiten unser Angebot in Anspruch genommen haben.
Anmerkung: Anlass für die Entstehung dieses Interviews war die neue Rubrik „5 Fragen an…“ des Newsletters UMSICHTEN – Berliner Newsletter zur Prävention von Kinder- und Jugenddelinquenz, dessen Herausgeber die Clearingstelle – Netzwerke zur Prävention von Kinder- und Jugenddelinquenz der Stiftung SPI ist. Die Clearingstelle, die den Arbeitskreis “AK City” koordiniert, dessen Mitglied auch wir sind, hat zuletzt Mitglieder des Arbeitskreises auf die Möglichkeit hingewiesen, ihr Antworten auf die 5 Kurzinterview-Fragen zukommen zu lassen. Wir haben uns angesprochen gefühlt und im Team versucht, unsere Antworten zusammenzustellen. Als wir damit neben dem intensiven Arbeitsalltag fertig waren, war der Redaktionsschluss für den letzten Newsletter leider vorbei. Wir fanden es aber Schade, das Ergebnis unserer Reflexion über die vergangenen intensiven Monate einfach so in unseren digitalen Archiven “verstauben zu lassen” und stellen Ihnen diese daher hier, auf unserer Webseite vor.